Für jeden zweiten Österreicher ist Sicherheit bzw. ein geringes Verlustrisiko immer noch das wichtigste Veranlagungskriterium bei der Vorsorge. Das hat sich auch nach jahrelangen Niedrigstzinsen nicht verändert, wie jüngste repräsentative Umfragen der Erste Bank Österreich zeigen. Insoweit konsequent ist daher das Sparbuch weiterhin das beliebteste Spar- und Veranlagungsprodukt im Land. Einer kürzlichen Analyse des Momentum-Instituts zufolge, könnte man meinen: Glückwunsch, alles richtig gemacht! Oder?
Den Berechnungen des Wiener Instituts zufolge konnten sich Sparbuch-Besitzer im vergangenen Jahr über ein nominell leichtes Plus von 0,4 Prozent freuen, während Aktien-Anleger kaufkraftbereinigt rund ein Viertel ihres Vermögens verloren haben. Mit einem Verlust von 30,8 Prozent markierte dabei der heimische Börsenindex ATX das dickste Minus, während Indizes internationaler Leitbörsen Wertverluste von über 20 Prozent verursachten.
Die leicht positiven Renditen wurden zwar von der hohen Teuerung überholt, sodass der Ertrag auch hier insgesamt negativ ausfiel, stellen die Verfasser fest. Allerdings kommen zumindest keine zusätzlichen Kursverluste wie bei Aktien hinzu. Lediglich mit Gold und Energie, nicht aber mit anderen Rohstoffen wie Metallen, hätten Anleger besser abgeschnitten als mit ihrem Sparbuch, so das Resümee.
Jährlicher Kaufkraftverlust
Die Jahresbilanz ist für sich genommen zwar korrekt, aber sie blendet einen wichtigen Teil der Realität aus. Das zeigt beispielsweise ein Blick auf das aktuelle Performance-Ranking von Scope Fund Analysis. Die Berliner Ratingagentur hat 40 Aktien-Peergroups mit mindestens 20 bewerteten Fonds analysiert und zeichnet für 2022 ein genauso verlustreiches Anlagejahr – ausgenommen Lateinamerika, Rohstoffe & Energien. Neben der Jahresbetrachtung wird jedoch auch ein Fünf-Jahres-Vergleich ausgewiesen und der zeigt: Trotz negativer zweistelliger Verluste im vergangenen Jahr erzielten Aktienfonds Europa einen jährlichen Wertzuwachs von 2,5 Prozent, Aktienfonds Nordamerika von 9,2 und Aktienfonds Welt von 4,8 Prozent.
Die Performancezahlen fallen noch eindeutiger aus, würde man Zeiträume von zehn oder mehr Jahren betrachten. Ergo wägen solche Kurzfristanalysen wie die des Momentum-Instituts Sparer in einer Sicherheit, die es spätestens in diesen Zeiten einer erhöhten Inflation nicht gibt. Denn der jährliche Kaufkraftverlust ist trotz der jüngsten Zinssteigerungen groß. Oder anders ausgedrückt: Das Geld, das Sparbuch-Sparer in ihre Bank tragen, verliert dort an Wert. Sicherheit sieht anders aus.
Bleibt die Frage, warum dieser jährliche reale Wertverlust von jedem zweiten Österreicher nicht wahrgenommen wird, während die – aktuell zweifellos massiven – Verluste an den Börsen dazu führen, dass Aktienveranlagungen kategorisch abgelehnt und gern mit Spekulieren gleichgesetzt werden? Die Behavioral Finance, also ein finanzwissenschaftlicher Ansatz der Verhaltensökonomie, nennt einen Grund: die „Verlustaversion“. Gemeint ist die Tendenz, Verluste höher zu gewichten als Gewinne. Übertragen bedeutet dies: Sparer empfinden den nominalen Erhalt der Ersparnisse als angenehmer, als ein erhöhtes Risiko von Wertschwankungen einzugehen – und nehmen deshalb in Kauf, dass ihre Ersparnisse auf dem Sparbuch Jahr für Jahr an Kaufkraft verlieren.