Die gute Nachricht zuerst: Herr und Frau Österreicher sorgen vor wie nie zuvor. Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, eine explodierende Inflation – mit durchschnittlich 247 Euro monatlich wandert so viel Geld wie noch nie zuvor in die private Absicherung. Das zeigt die Studie „Multikrisen: Vorsorgeverhalten verändert sich“ der Erste Bank, Sparkassen und Wiener Städtischen aus dem Jänner dieses Jahres. Im Fokus der Sparer stehen dabei die Themen finanzielle Reserve für Krisenfälle, Gesundheit und Familie (siehe Schaubild).
So weit, so erfreulich. Eine prekäre Thematik findet im Land jedoch so gut wie keine Beachtung: Der Ausfall der eigenen Arbeitskraft. Jeder Vierte kann seinen Beruf aufgrund von Krankheit, körperlichem Verfall oder aufgrund eines Unfalls im Laufe seines Lebens temporär bis anhaltend nicht mehr ausüben. Als berufsunfähig gilt, wer seiner beruflichen Tätigkeit mindestens sechs Monate lang zu weniger als 50 Prozent nachgehen kann.
vermehrt psychische störungen
Die Gründe offenbaren die Statistiken der Österreichischen Sozialversicherung: Während viele Erwerbstätige der Meinung sind, dass Berufsunfähigkeit vorrangig durch beschäftigungsspezifische Krankheiten oder Unfälle verursacht wird, liegen die Ursachen anderswo. Mehr als 44 Prozent gehen auf psychische und Verhaltensstörungen zurück, gefolgt von Erkrankungen des Muskel-Skelett- sowie des Herz-Kreislauf-Systems (siehe Schaubild).
Wie deutlich die Einkommenslücke ausfallen kann – und somit durchaus existenzgefährdend – zeigt ein Blick auf eine Mitte vergangenen Jahres veröffentlichte Konsumerhebung der European Platform on Reference Budgets. Ein Beispiel: In Österreich wendete ein Paar mit zwei Kindern im Schnitt 3.819 Euro monatlich für die Lebenshaltung auf – ein Betrag, der mittlerweile nach den zwischenzeitlichen Preissteigerungen deutlich höher ausfallen dürfte. Tritt der Fall der Fälle ein, müsste die Familie mit massiven Einkommensbußen rechnen. Der Grund: Mit 1. Jänner 2014 wurden hinsichtlich der gesetzlichen Berufs- bzw. Invaliditätspension im Rahmen des Arbeits- und Sozialrechts-Änderungsgesetzes gravierende Einschränkungen fixiert. Der Leitsatz lautet: „Rehabilitation vor Pension“. Verweisungen auf verwandte Berufe oder Umschulungen sollen Betroffene möglichst lange im Arbeitsmarkt halten, mithin krankheitsbedingte Pensionierungen weitestgehend vermieden werden.
Ist man im Ausmaß von mindestens sechs Monaten vorübergehend erwerbsunfähig, wurde für Personen, die ab 1. Jänner 1964 geboren sind, diese befristete Pension ersatzlos gestrichen. Vielmehr wird eine berufliche Rehabilitation, sprich Umschulung, als zumutbar angesehen und durchgesetzt, man erhält für die Dauer der Maßnahme jeden Monat ein „Umschulungsgeld“. Es entspricht der Höhe des Arbeitslosengeldes, draufgepackt werden 22 Prozent. Sind solche Maßnahmen in medizinischem Sinne (noch) nicht vertretbar oder zweckmäßig, wird „Rehabilitationsgeld“ ausbezahlt, nichts anderes als das übliche Krankengeld in anderer Begrifflichkeit – in der Regel bis zu 60 Prozent des Letztbezuges.
Tatsächlich wurden die Daumenschrauben bei der Zuerkennung einer Rente rigide angezogen: Im Jahr 2021 wurden exakt 49.138 Anträge auf Zuerkennung einer dauerhaften Berufsunfähigkeitspension gestellt, doch lediglich 13.588 Gesuchen wurde entsprochen – ein Anteil von 27,6 Prozent. Nicht zu vergessen: Es sind ab dem 28. Lebensjahr ganze 60 Versicherungsmonate innerhalb der vorangegangenen zehn Jahre erforderlich, um überhaupt anspruchsberechtigt zu sein. „Seitens des Staates muss aufgrund des stetig steigenden Kostendrucks mit weiteren Einschränkungen bei der Zuerkennung einer BU-Rente gerechnet werden“, warnt Manfred Bartalszky, Vorstand der Wiener Städtischen und fügt hinzu: „Wer das Glück hat, eine staatliche Berufsunfähigkeitspension zu bekommen, muss mit durchschnittlich 1.255 Euro im Monat auskommen“. Nicht bedacht wird zudem, dass nicht nur das vormalige Einkommen teils massiv sinkt, sondern damit entsprechend niedrigere Pensionsbeiträge und somit eine niedrigere Alterspension einhergehen. Wie beträchtlich das Minus ausfällt, rechnet Willi Bors, Direktor Österreich der Dialog Lebensversicherung, vor: „Multipliziert man sein jährliches Einkommen mit der Anzahl der verbleibenden Jahre bis zum Pensionsbeginn, entsteht schnell ein siebenstelliger Betrag.“
Sicherheitsnetz spannen
Mit einer privaten Berufsunfähigkeits (BU)-Versicherung gelingt der Lückenschluss, um den bisherigen Lebensstandard aufrechtzuerhalten und allfällige Kosten für medizinische Behandlungen und Rehabilitation zu bestreiten. Diese wird als monatliche Rente bis zum Antritt der Pension bezahlt. Unisono wird nicht ohne Grund empfohlen, sich individuell gegen den Ausfall der Arbeitskraft zu wappnen. So stuft die Arbeiterkammer eine BU-Versicherung als „grundsätzlich sinnvoll“ ein, der Verein für Konsumenteninformation (VKI) mahnt in seinem VKI-Risiko-Check aufgrund der zu erwartenden Existenzbedrohung „ausdrücklich eine Aufwertung“ im Versicherungsportfolio an. Die Realität ist eine andere.
Laut dem digitalen Versicherungsmanager Clark Austria sind höchstens fünf Prozent aller Österreicher gegen einen Wegfall des Einkommens versichert. Das Risiko werde vom Großteil der Bevölkerung immer noch unterschätzt, so Bartalszky. Einerseits seien Politik, Sozialversicherungen und Arbeitnehmervertreter gefordert, mehr Transparenz zu schaffen, „andererseits ist es Aufgabe der Versicherungswirtschaft, die Menschen zu diesem Thema zu sensibilisieren“. Laut Willi Bors komme es darauf an, mit einem erweiterten Angebot an Weiterbildungsmaßnahmen dazu beizutragen, dass sich das Problembewusstsein und der Wissensstand ständig verbesserten „und die BU-Versicherung als das erkannt wird, was sie letztlich ist – nämlich unverzichtbar im Absicherungsportfolio eines jeden arbeitenden Kunden“.
viele optionen und klauseln
Maßgeblich für die Höhe der Prämie sind neben dem Beruf das Einstiegsalter, Ausbildung, Lohn bzw. Gehalt, der ärztlich überprüfte, aktuelle Gesundheitszustand sowie die angestrebte Bezugsdauer. Dabei differieren die Beitrags- und Leistungsunterschiede enorm. Das Vertragswerk ist für Laien meist nur schwer zu durchschauen, denn „es gibt viele Optionen und Klauseln, die zur individuellen Situation passen müssen. Der Kunde muss entscheiden, was ihm wichtig ist und ob er dafür mehr Geld ausgeben möchte“, streicht Benjamin Arthofer, CEO der AVERS Versicherungsmakler GmbH, hervor. Es genüge nicht, immer nur nach dem günstigsten Preis zu entscheiden, denn „nicht jeder Versicherer hat auch das richtige Konzept für jeden Beruf“. Deshalb ist es unentbehrlich, sich an einen unabhängigen Versicherungsberater bzw. -makler zu wenden, der die gesamte Bandbreite des Marktes abdeckt.
Denn potenzielle Kunden stellen ausgeprägte Anforderungen an eine BU-Versicherung, wie eine repräsentative Umfrage zeigt, die noch von der früheren, mittlerweile von der Merkur Versicherung erworbenen Nürnberger Versicherung vor knapp zwei Jahren publiziert wurde. Auf den Spitzenplätzen rangieren detaillierte Produktinformationen seitens des Beraters, eine gute Produktqualität sowie eine faire, persönliche Bearbeitung im Schadensfall (siehe Schaubild).
Wer einsteigen möchte, sollte das Augenmerk gezielt auf folgende Vertragsbestandteile richten: Wichtig sind zunächst die praktizierte Einteilung in Berufsklassen und damit verbundene Kosten. Denn Gruppen mit hohem Unfall- oder Erkrankungsrisiko, wie Dachdecker oder Bauarbeiter, werden naturgemäß stärker zur Kasse gebeten, mit durchaus beträchtlichen Unterschieden. Wer besonders riskante Tätigkeiten, Sportarten oder Hobbies betreibt, bleibt oftmals außen vor.
Selbstverständlich muss sein, dass weltweit geleistet wird, falls man während der Auszahlungsphase ins Ausland übersiedelt. Eine Nachversicherungsgarantie gehört ebenso zum Pflichtprogramm. Ohne erneute Gesundheitsprüfung kann dann die Leistung aufgestockt werden, beispielshalber bei Familiengründung, Immobilienerwerb oder Einkommensverbesserung. Ebenfalls unabdingbar ist eine sofortige Anerkennung bzw. rückwirkende Leistung. Das bedeutet, dass die Rentenzahlung ohne Verzögerung mit Beginn der tatsächlichen Berufsunfähigkeit eintritt, und nicht erst bei Bekanntgabe oder Ablauf.
Bei der Höhe der Versicherungsleistung sollte man sich am aktuellen Nettoeinkommen orientieren – 80 Prozent gelten als geeigneter Richtwert. Der AVERS-Geschäftsführer empfiehlt eine „Absicherung bis zum Pensionsantrittsalter“. „Sollte kein Bedarf mehr an Abdeckung bestehen, kann man den Vertrag jährlich kündigen, im Leistungsfall aber nicht verlängern“, ergänzt Arthofer. Unter 1.000 Euro monatlich sei seiner Meinung nach eine BU-Versicherung „sinnlos“. Nicht zuletzt sollte der Prognosezeitraum möglichst kurz ausfallen, anders ausgedrückt der Beginn der Versicherungsleistung nach Bestätigung der Berufsunfähigkeit durch ein ärztliches Gutachten möglichst zügig eintreten. Durch die Dynamisierung werden Einkommenssteigerungen oder die Inflation abgefedert, eine neuerliche Gesundheitsprüfung findet nicht statt.
Noch ein Tipp: Früh einsteigen lohnt sich doppelt, denn zum einen bestehen in jungen Jahren besonders geringe Ansprüche auf Sozialleistungen. Zudem weist der Vorstand der Wiener Städtischen darauf hin, dass „aufgrund des früheren Einstiegsalters und des meist noch guten Gesundheitszustandes günstigere Prämien angeboten werden können“.
Die Anbieter kommen immer wieder mit Neuerungen heraus, um sich an die geänderten Markt- und Kundenanforderungen anzupassen. Die Merkur Lebensversicherung offeriert Neukunden seit 1. Februar bei zwei Tarifen ohne Prämienaufstockung eine lebenslange Rente bei Pflegebedürftigkeit vor dem 45. Geburtstag. Bei der Wiener Städtischen wurden die Leistungspalette der BUV „Work Life Airbag“ im Herbst 2022 um neue Features ergänzt: „Wir haben bei der Anmeldung der Leistung auf eine Frist verzichtet, die Prämien können gestundet werden, auch kann die BU-Rente bei finanziellen Schwierigkeiten herabgesetzt und ohne Gesundheitsprüfung wieder auf den ursprünglichen Zustand erhöht werden“, so Bartalszky.
Für Willi Bors von der Dialog stehen die Zeichen am Markt gut: „Die Produkte sind heute deutlich leistungsstärker als noch vor fünf Jahren. Immer mehr Vermittler erkennen die Bedeutung der BU-Versicherung für ihre Kunden. Wir erwarten insgesamt steigende Umsatzzahlen.“ Optimistisch ist auch Arthofers Blick nach vorn: „Ich gehe davon aus, dass immer mehr Personen Eigenverantwortung übernehmen und sich nicht von staatlichen Leistungen abhängig machen wollen.“ Und das ist noch eine gute Nachricht.