Johann Wolfgang von Goethe soll gesagt haben: „Ich bin gesund und kann arbeiten. Was verlang’ ich mehr.“ Doch was, wenn wir wollen, es aber nicht mehr geht? Das vor zehn Jahren in Kraft getretene Sozial-rechts-Änderungsgesetz brachte die Abschaffung der befristeten Invaliditäts- und Berufsunfähigkeitspension für ab 1964 Geborene. Und die medizinische bzw. berufliche Rehabilitation wurde angesichts des Spargedankens für den Staatsetat enger gefasst. Für die Dauer einer nötigen Rehabilitation wird seither ein Übergangsgeld gewährt. Betroffene haben zugleich strengere Mitwirkungspflichten. „Allerdings liegt die durchschnittliche staatliche Invaliditätspension gerade einmal bei rund 867 Euro im Monat“, sagt Willi Bors, Vertriebsdirektor bei der Dialog Lebensversicherungs-AG. Frauen seien dabei noch deutlich schlechter gestellt. Im Fall des Falles entsteht eine ziemlich große Lücke zum Aktivbezug oder zum Einkommen, das bei einer üblichen Erwerbskarriere möglich wäre. Übrigens ist die Zahl der Neuzugänge von Pensionen der geminderten Arbeitsfähigkeit oder dauernden Erwerbsunfähigkeit (EU) 2023 gegenüber dem Vorjahr um 1,4 Prozent auf 12.872 Fälle gestiegen.
Man könnte also meinen, dass die Berufsunfähigkeitsversicherung (BU-Versicherung) in Österreich stärker nachgefragt wird. Vor allem selbstständig Erwerbstätige oder junge, aufstrebende Menschen mit höherem Schulabschluss oder akademischer Ausbildung hätten hohen Absicherungsbedarf. „Daumen mal Pi hat aber nur jeder 25. Beschäftigte eine private Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen“, sagt Thomas Brettenthaler, Gesellschafter der Prömer Versicherungsmakler GmbH.
In wirtschaftlich unsicheren Zeiten wie diesen scheitert der Vorsorgeschritt vor allem an den Prämien. „Und daran, dass der Außendienst oder Versicherungsvermittler angesichts der Komplexität der Antragsausarbeitung in Relation zum möglichen Verdienst nicht überbordend die Werbetrommel rühren“, so Brettenthaler. Gäbe es „eine einfachere Annahmepolitik“, hätten BU & Co. hier zu Lande wohl eine höhere Durchdringung. Damit wäre auch die Versichertengemeinschaft breiter aufgestellt und die Schadensfälle hätten in dieser Sparte weniger Impact für die einzelnen Assekuranzen.
„Eine abgespeckte Form der Absicherung – und damit eine günstigere – ist besser als gar keine“, meint Brettenthaler. Die EU-Versicherung oder Grundfähigkeitsversicherung (GF-Versicherung) als Alternativen zur BU-Versicherung sind wenig bis gar nicht bekannt. Egal, welche Form der Absicherung der Arbeitskraft betrachtet wird: Im Idealfall soll es nicht nur darum gehen, Finanzierungen besser gegen mangelnde Bedienbarkeit infolge von Erkrankung oder Unfall abzusichern oder eine Art Mini-Rente zu gewährleisten. Eine EU- oder BU-Rente sollte in einer Höhe abgeschlossen werden, die den Lebensunterhalt sichert, mindestens 1.000 Euro müssten es daher schon sein.
Grob gesprochen unterscheiden sich die drei Varianten folgendermaßen: „Berufsunfähig ist, wer seinen zuletzt ausgeübten Beruf (Anm.: zu mindestens 50 Prozent) infolge von Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechendem Kräfteverfall mindestens sechs Monate oder länger nicht mehr ausüben kann“, erklärt Andrea Kriegl, Vorsorgeexpertin bei der Uniqa Versicherung. Bei der EU-Versicherung ist bei der Beurteilung des Leistungsanspruchs im Unterschied zur BU-Versicherung weder der bisher ausgeübte Beruf noch die bisherige Lebensstellung relevant. Die EU-Versicherung kostet wegen des damit niedrigeren Risikos weniger als eine BU-Polizze. „Sie weist im Vergleich aber auch nur einen eingeschränkten Leistungsumfang aus“, so Kriegl. Gleiches gilt für die GF-Versicherung, die in der Risikoprüfung deutlich einfacher ist. Wie der Name bereits impliziert, konzentriert sich diese Polizze auf die Absicherung von Basis-Fähigkeiten wie Sprechen, Hören und Sehen – unabhängig vom beruflichen Kontext.
Unselbstständig Beschäftigte, deren Einkommen essenziell für den Erhalt des Lebensstandards ist, sollten über eine BU-Versicherung nachdenken. Hier geht es um den erworbenen beruflichen Status und die wirtschaftliche Lebensstellung. Sie ist also ideal für Menschen, deren Beruf stark spezialisiert ist und die im Falle einer Unfähigkeit, ihren Beruf auszuüben, eine hohe Absicherung benötigen. Ratsam sei es, diese Polizze rechtzeitig abzuschließen – also noch bevor erlittene Erkrankungen, Berufs- oder Freizeitrisiken den Versicherungsschutz teuer oder unmöglich machen, meint Kriegl. Bei der EU-Versicherung müsse eine Erwerbsminderung von mehr als 80 Prozent vorliegen, so Brettenthaler. Der Krankenstand muss länger als sechs Monate dauern, ab dann bekommt man rückwirkend die EU-Leistung zuerkannt.
zielgruppen für eu-polizzen
Bei der EU-Absicherung entfallen die Punkte „Verweisung“ oder „Berufsschutz“. Bei der BU-Versicherung dagegen ist vor Abschluss auf die „abstrakte“ oder „konkrete“ Verweisung zu achten. Gemeint ist damit, dass man als Versicherungskunde bei ersterer eine vergleichbare Arbeit annehmen müsste. Bei der konkreten Verweisung entspricht die berufliche Aktivität, die anzunehmen wäre, der tatsächlichen Ausbildung und bisherigen Tätigkeit. Die EU tritt dagegen erst ein, wenn man keinerlei beruflicher Tätigkeit mehr im ausreichenden Umfang (Anm.: drei Stunden täglich) nachgehen kann. Von der Prämie her komme die EU-Versicherung im Schnitt auf etwa 20 Prozent der BU-Versicherung, so Brettenthaler. Um die Voraussetzungen zu erfüllen, muss man bereits sechs Monate lang eine berufliche Tätigkeit ausgeübt haben. Er rät vor allem Selbstständigen zu einer EU-Polizze. Denn sie genießen bei einer BU erst ab dem 50. Lebensjahr Berufsschutz und vorher bestehe für sie die abstrakte Verweisbarkeit.
Ideal sei die EU-Versicherung auch für Handwerker und Sozialberufe beziehungsweise Künstler, heißt es bei der Dialog Versicherung, denn für sie sei es nur schwer möglich, ihren erforderlichen Schutz über eine BU-Versicherung in voller Höhe abzusichern. Bors: „Optionale Zusatzbausteine, analog zur BU, wie Dread Disease oder Anfangshilfe, sowie Wiedereingliederungshilfen ohne Mehrpreis sind auch für diese Berufe möglich.“ Die Ausgestaltung der EU-Versicherung bei der Dialog umfasst auch die Leistung bei grob fahrlässigem Verhalten, auch im Straßenverkehr. „Des Weiteren kommen keine Meldefristen zur Anwendung, wir leisten rückwirkend. Es gibt bei uns keine Arztanordnungsklausel oder Meldepflicht bei Gesundheitsverbesserungen“, so Bors. Über eine Erhöhungsoption kann man die Summe der Absicherung bis zum 51. Lebensjahr bei bestimmten Lebensereignissen, wie Heirat, Geburt eines Kindes, Anschaffung einer Immobilie etc., ohne erneute Risikoprüfung um bis zu 100 Prozent erhöhen – in den ersten fünf Jahren nach Vertragsbeginn ereignisunabhängig. Weitere Features, die Versicherungsnehmern am Herzen liegen könnten, sind etwa die Beitragsverringerung und Herabsetzung der EU-Rente in der Elternkarenzzeit (maximal 36 Monate), bei Arbeitslosigkeit (maximal 24 Monate), bei der Pflege naher Angehöriger (maximal 24 Monate) oder ohne Angabe von Gründen (maximal zwölf Monate).
Die Grundfähigkeitsversicherung ist geeignet für Personen mit Vorerkrankungen oder jene, die aus anderen Gründen in der BU-Versicherung als nicht versicherbar gelten. Hier sind nur wenige Berufsgruppen ausgeschlossen, etwa Stuntleute, Artisten, Flugschüler etc. „Es gibt klar definierte Leistungsauslöser, während in der BU das Ausmaß im Zusammenhang mit den genauen beruflichen Tätigkeiten geprüft wird“, erläutert Kriegl. Sollten die menschlichen Basis-Fähigkeiten aufgrund einer Erkrankung oder eines Unfalls verloren gehen, wird die vereinbarte Rentenleistung bis zu einem bestimmten Endalter erbracht, wobei die weitere Ausübung einer beruflichen Tätigkeit hier keinen Einfluss darauf hat. Da aber für fast alle Berufe die Grundfähigkeiten notwendig sind, bietet diese Polizze einen Basisschutz.
Abhängig vom jeweiligen Versicherungsanbieter fällt die Ausgestaltung, welche menschlichen Grundfähigkeiten in welchem Ausmaß abgesichert werden können, unterschiedlich aus. Obwohl die GF-Versicherung keinen Bezug zum Beruf hat, kann sie – je nach Berufsbild – doch eine gute Absicherung der beruflichen Tätigkeit darstellen. Gleichwohl sehen manche Versicherungsexperten die GF-Versicherung eher als Freizeit-Absicherung. So oder so bietet die Polizze meistens keine Absicherung bei psychischen Erkrankungen. Tatsächlich sind aber psychische Erkrankungen mittlerweile Hauptgrund Nummer 1 für vorzeitige Pensionsneuzugänge (siehe Schaubild auf Seite 64 unten). In der BU-Versicherung sind psychische Erkrankungen zumeist mitversichert. Die Leistung wird aber auch hier erst dann erbracht, wenn die Berufsausübung dadurch auf Dauer nicht mehr möglich ist.
Fazit: Eine Form der Absicherung für den Fall, dass man arbeitsunfähig wird, macht grundsätzlich viel Sinn. Schon aus Budgetgründen ist es dabei zunächst ratsam, alle Absicherungsvarianten ins Kalkül zu ziehen, um dann zu schauen, mit welcher Polizze sich die individuellen Anforderungen am besten erfüllen lassen (siehe Übersicht auf Seite 64 oben). Eine BU-Versicherung muss es nicht automatisch sein, zumal auch die abzusichernde Rentenhöhe von Bedeutung ist.