FONDS exklusiv: Nach einem Jahrzehnt der Outperformance bis zum Jahr 2010 folgte eines der Underperformance gegenüber den Aktienmärkten der Industrieländer. Seit einigen Monaten scheinen sich die Börsen in den Emerging Markets (EM) mit einem leichten Plus zu stabilisieren. Wie bewerten Sie die künftigen Aussichten?
Jürgen Maier: Wir sind zuversichtlich, dass sich die Aussichten aufhellen. Auch der Blick in die Historie spricht dafür, dass es künftig wieder einen Zyklus geben wird, in dem die EM deutlich besser performen werden. Aber dazu brauchen wir ein gewisses Umfeld.
Wie müsste das aussehen?
J. M.: Wichtig wäre, dass der US-Dollar etwas nachgibt. Denn eine starke US-Währung gepaart mit hohen Zinsen führt dazu, dass insbesondere amerikanische Investoren lieber im eigenen Land investieren. Das gilt erst recht, wenn die Weltwirtschaft schwächelt. Dann ziehen Großinvestoren große Kapitalsummen aus Europa und den EM ab, wo sie dann nicht mehr für Investitionen zur Verfügung stehen.
Welche Rolle spielt dabei China, das im MSCI EM Index mit 30 Prozent am stärksten gewichtet ist?
J. M.: China ist nach wie vor von großer Bedeutung. Aber das Land musste einige Fehlentwicklungen verkraften. So hat die Absage an die Ein-Kind-Politik nicht zu einer Steigerung der Geburtenrate geführt, was aus demografischen Gründen erwünscht wäre. Tatsächlich ist sie weiter gefallen. Wir haben große Verwerfungen im Immobiliensektor erlebt, die zu einer Konsolidierung bei privaten Anbietern führen dürften. Und die drakonischen Maßnahmen im Kampf gegen die Pandemie, bis hin zum Einsperren der Bürger in ihren eigenen Wohnungen, haben zu einem massiven Rückgang des Konsumentenvertrauens geführt, das sich bis heute nicht erholt hat. Einer der wenigen Lichtblicke sind die aktuellen Exporterfolge von chinesischen Herstellern von Elektrofahrzeugen, die gerade die Europäische Union auf den Plan rufen.
Wie bewerten Sie China vor diesem Hintergrund?
J. M.: Viele chinesische Titel sind inzwischen günstig bewertet, sodass wir schon etwas länger Positionen im Fonds aufgebaut haben. Vielleicht etwas zu früh, aber dafür stehen die Chancen gut, dass wir in den nächsten drei bis fünf Jahren eine überdurchschnittliche Performance erzielen können. Zudem ist bereits viel Negatives eingepreist. Folglich bedarf es nur eines leichten Stimmungsumschwungs, damit auch Großanleger wieder verstärkt investieren und sich der chinesische Aktienmarkt positiver entwickelt.
Sollte sich eine globale Krise, wie zum Beispiel durch einen möglichen Konflikt zwischen China und Taiwan, zuspitzen, dürften die Börsen aber deutlich einbrechen. Können Sie in solchen Situationen im Sinn eines Risikomanagements gegensteuern?
J. M.: Das ist für uns ein wichtiger Punkt. Wir haben ein Team gebildet, dass die geopolitischen Entwicklungen zwischen China und Taiwan genau beobachtet und sich regelmäßig austauscht. Dabei gibt es Szenarien mit verschiedenen Eskalationsstufen, die am Ende dazu führen könnten, dass wir Positionen abbauen oder Titel komplett verkaufen. Ein solches Krisenszenario lässt sich nie ausschließen. Wir gehen allerdings derzeit nicht von derartigen Entwicklungen aus und sehen hierfür auch keine erhöhten Risiken.
Warum spielt China dennoch eine so zentrale Rolle in Ihrem Fonds?
J. M.: Mit einer Gewichtung von etwa 27 Prozent in unserem Fonds ist China mittlerweile für uns der wichtigste Markt innerhalb der Emerging Markets. Der sukzessive Aufbau von Positionen liegt nicht allein in günstigen Bewertungen begründet. Generell hat sich die Anzahl an nachhaltigen Unternehmen in China über die Jahre klar erhöht, was sich auch in einem deutlich verbesserten Reporting der Unternehmen über Umwelt-, Sozial- und Governance-Standards, also ESG-Kriterien, widerspiegelt.
Was sind die Gründe für diese positive Entwicklung, Herr Maier?
J. M.: Das Engagement der Raiffeisen KAG ebenso wie von externen Providern wie ISS und MSCI oder Großinvestoren von den skandinavischen Staaten hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass Unternehmen, nicht nur in China, verstärkt die Daten bereitstellen, die wir für unsere Nachhaltigkeitsbewertungen benötigen. Entsprechend ist unser Anlageuniversum seit Fondsauflage um über hundert auf rund 500 Aktien gewachsen, die allesamt unsere strengen Nachhaltigkeitskriterien erfüllen. Dabei legen wir dieselben hohen Nachhaltigkeitsanforderungen an EM-Unternehmen wie an Gesellschaften in Europa und den USA. So sind wir beispielsweise im Raiffeisen-Nachhaltigkeit-Emerging Markets-Aktien nicht in die von externen Providern im Verhältnis hoch bewerteten Unternehmen Samsung Electronics und Alibaba investiert. Beim koreanischen Technologiekonzern sind dafür Auseinandersetzungen mit der Gewerkschaft und ein Korruptionsfall in der Vergangenheit verantwortlich, beim chinesischen Internetkonzern die Arbeitsbedingungen in den Logistikcentern.
Bitte skizzieren Sie Ihren Investmentprozess. Wie wählen Sie Ihre Titel aus?
J. M.: Ausgehend von den 1.400 Titeln des MSCI EM Index bekommen wir derzeit von ca. 1000 Unternehmen alle benötigten Daten, damit wir eine Nachhaltigkeitsanalyse durchführen können. Etwa 20 Prozent der Unternehmen sind nicht investierbar, weil sie eine oder mehrere unserer strengen Negativkriterien verletzen. Dazu zählen etwa die Förderung von Öl und Gas, Produktion und Energiegewinnung aus Kohle, Atomkraft, die Verletzung von Arbeits- und Menschenrechten sowie Korruption und Bilanzfälschung. Weiters setzen wir ein internes Ratingsystem ein, bei dem die verbleibenden Unternehmen durch einen ESG-Corporate-Indikator analysiert und bewertet werden und einen Mindestscore erreichen müssen. Dies führt zum Ausschluss weiterer etwa 30 Prozent der Titel. Zudem werden die Ergebnisse im Rahmen des Engagements betrachtet und durch unsere Zukunfts-Themen-Teams, die für Sektoren wie zum Beispiel Energie, Infrastruktur, Technologie und Mobilität wichtige Inputs liefern. Im Ergebnis bleiben rund 500 Unternehmen übrig, die dann auf Basis fundamentaler Kriterien analysiert werden. Am Ende des Investmentprozesses besteht das Fondsportfolio aus 80 bis 90 Titeln.
Welche Themen halten Sie aktuell für viel versprechend?
J. M.: In Indien, für das wir mittel- bis langfristig sehr zuversichtlich gestimmt sind, gefallen uns besonders Finanztitel, die Kredite für leistbaren Wohnraum bereitstellen, wie zum Beispiel eine HDFC Bank. In Indonesien haben wir eine Position in der Bank Rakyat, die Mikrokredite zum Aufbau einer Selbstständigkeit vergibt. Das IT-Outsourcing in Indien ist auch aus nachhaltiger Sicht sehr interessant. Unternehmen wie Tata Consultancy Services zählten zu den ersten, die in Indien eine Mutterschutz-Regelung etabliert haben, die inzwischen für andere Industrien Vorbildfunktion hat. Sehr positive Effekte hat gerade auch die Geschäftsstrategie „China plus One“. Dabei wird mit Blick auf die Lieferketten versucht, den Bau neuer Fertigungshallen in China zu vermeiden und in andere Regionen wie zum Beispiel Indien und Mexiko zu verlagern.