Was Experten bereits letztes Jahr prognostizierten, ist eingetroffen: Der Rückgang der globalen energiebedingten Kohlendioxid (CO₂)-Emissionen um über fünf Prozent war nur eine Momentaufnahme. Im Folgejahr kletterte der Wert im Zuge der weltwirtschaftlichen Erholung sogar um sechs Prozent auf 36,3 Gigatonnen (Gt). „Der Anstieg der globalen CO₂-Emissionen von über zwei Gt war in absoluten Zahlen der größte in der Geschichte und konnte den pandemiebedingten Rückgang des Vorjahres mehr als ausgleichen“, stellen die Experten der Internationalen Energieagentur (IEA) fest. Differenzierter fällt hingegen der Sektorenvergleich aus (siehe Schaubilder). Ihr Resümee: „Die Welt muss nun sicherstellen, dass die globale Erholung der Emissionen im Jahr 2021 einmalig war – und dass nachhaltige Investitionen in Kombination mit dem beschleunigten Einsatz sauberer Energietechnologien die CO₂-Emissionen im Jahr 2022 reduzieren werden. Nur so kann die Chance aufrechterhalten werden, die globalen CO₂-Emissionen bis 2050 auf netto-null zu verringern.“
Anleger können an diesem Prozess durch Investments in sogenannte Low Carbon- oder Dekarbonisierung-ETFs partizipieren. Die Leitplanken hat einmal mehr die Europäische Union (EU) gesetzt, in diesem Fall mit der sogenannten Benchmark-Verordnung. Dort wurden Mindeststandards für zwei Indextypen festgeschrieben, deren Gestaltung auf das Ziel des Pariser Klimaabkommens ausgerichtet ist, den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 bis 2 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Der EU geht es dabei vor allem um folgende Zielsetzungen:
- Unterstützung von Indexanbietern bei der Erarbeitung von Referenzwerten für Anlagen, die mit der Einhaltung der im Pariser Klimaabkommen formulierten Ziele korrespondieren;
- Orientierung für Anleger im oft nicht leicht zu durchdringenden Dickicht nachhaltiger Geldanlagen;
- Vermeidung von Greenwashing bei der Produktgestaltung von Investmentgesellschaften.
Bei den Indextypen handelt es sich um die Paris Aligned Benchmark, kurz PAB und die Climate Transition Benchmark, kurz CTB. Was unterscheidet diese beiden Varianten? Beide folgen dem Ziel einer jährlichen absoluten Verringerung der Treibhausgasemissionen von sieben Prozent. Während PAB-Indizes eine Reduzierung der Kohlenstoffintensität von 50 Prozent gegenüber dem Anlageuniversum vorsehen, müssen CTB-Indizes einen Zielwert von 30 Prozent erreichen, dies aber im ersten Jahr. Beide Indextypen schließen Unternehmen aus, die Umsätze mit kontroversen Waffen erzielen und bestimmte soziale Normen verletzen. Die PAB-Benchmark sieht zudem Ausschlüsse bei Umsatzanteilen mit Kohle von mehr als einem Prozent und Erdöl von mehr als zehn Prozent vor sowie bei größeren Umsätzen von mehr als 50 Prozent im Bereich der kohlenstoffintensiven Stromerzeugung.
„Wir haben bewusst den PAB ausgewählt, da er unseren Kunden am ehesten bei der Erreichung ihrer Dekarbonisierungsziele hilft“, sagt Claus Hecher, Head of Business Development ETF und Index Solutions bei BNP Asset Management und verweist auf ehrgeizigere Investitionsstrategien und strengere Ausschlusskriterien im Zusammenhang mit fossilen Brennstoffen (siehe Interview auf Seite 27). Entgegengesetzt argumentiert Katherine Magee: „Wir wollen den Energiesektor nicht direkt ausschließen, denn die Realität ist, dass die Weltwirtschaft immer noch Energie benötigt. Einfach aus dem Sektor auszusteigen, ändert daran nichts“, begründet die Anlageexpertin bei JP Morgan Asset Management, warum man sich zunächst auf die CTB-Variante fokussiert hat – und fügt hinzu: „Wir ziehen es stattdessen vor, in die „Leader“ des Sektors zu investieren, dort Veränderungen zu fördern, während wir die Nachzügler untergewichten oder nicht in sie investieren.“ Produktkennungen wie „Climate Transition“ oder „Paris-Aligned“ könnten es Anlegern demnach erleichtern, sehr schnell klimabezogene Strategien zu erkennen. „Generell sollten sich Fondsanleger aber nicht auf Produktnamen verlassen, sondern immer die zugrunde liegende Methodik betrachten und auf die geltenden Vorschriften achten“, sagt Marcus Weyerer, Senior ETF Investment Strategist bei Franklin Templeton Investments.
Das zeigt sich beispielsweise in der Jahresperformance der beiden Bestplatzierten unserer Fondsauswahl. Beim Franklin S&P 500 Paris Aligned Climate UCITS ETF dürften die großen Tech-Werte wie Microsoft, Apple, Alphabet und Amazon, die über zwanzig Prozent des Portfolios stellen, starke Performancetreiber gewesen sein – und auch verantwortlich für jüngste Kursrückgänge. „Der IT-Sektor ist entscheidend für Innovationen, die dazu beitragen können, den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Zukunft voranzutreiben“, sagt Weyerer. Zudem müsse der Paris-Aligned-Ansatz indirekte, sogenannte Scope-3-Emissionen berücksichtigen. Ein Ergebnis dieses Investmentansatzes beschreibt der Franklin-Experte so: Beispielsweise ist die Kohlenstoffintensität des S&P 500 Paris Aligned Climate Index per Ende März dieses Jahres um 89 Prozent geringer als beim S&P 500-Index.
„Der Technologiesektor spielt eine bedeutende Rolle bei der Dekarbonisierung“, bestätigt auch Magee. Dies gelte sowohl in Bezug auf das Management des eigenen CO₂-Fußabdrucks – zum Beispiel im Hinblick auf den Einsatz von Wasserressourcen, was für Halbleiterunternehmen besonders relevant ist – als auch durch die Entwicklung von Schlüssellösungen für die Dekarbonisierung der Wirtschaft. Zwar zeigen beide ETFs eine große Schnittmenge in den Top 10, deren Gewichtung fällt beim JP Morgan-Fonds jedoch spürbar geringer aus. „Wir investieren heute in Sektoren mit hohen Emissionen, wie z. B. Automobile, Energie und Versorger und hier vornehmlich in Unternehmen, die daran arbeiten, die Emissionen zukünftig zu senken“, sagt die Anlagespezialistin mit Blick auf den JPMorgan Carbon Transition Global Equity UCITS ETF, der zu gut einem Viertel außerhalb der USA investiert ist.
Ein zentrales Handlungsfeld sehen die ETF-Anbieter in der direkten Einflussnahme bei ihren Portfoliotiteln, sei es durch die Stimmabgabe bei Jahreshauptversammlungen und/oder im Zuge des Engagements, also beim Dialog mit den Unternehmen über spezifische Zielsetzungen. „Die NGO Share Action hat Amundi in Bezug auf die Abstimmungsleistung unter die Top 5 gereiht“, sagt Thomas Wiedenmann, Head of ETF, Indexing & Smart Beta Sales Germany, Austria & Eastern Europe bei Amundi. Damit habe man „die anderen Top 10 der größten Vermögensverwalter weltweit übertroffen und mit 97 Prozent der Stimmen für umweltbezogene Beschlüsse eine starke Bilanz bei umweltbezogenen Themen erzielt“, freut sich der ETF-Chef.
Beim Fondsangebot der Investmentgesellschaft fällt auf, dass Anleger auf vergleichbare Weise auch in den Emerging Markets, Japan und den Pazifikraum investieren können. Während diese Fonds wegen ihrer Regionalität eher als Beimischung geeignet sind, ordnet Amundi ihren MSCI World Climate Transition CTB – UCITS ETF als Alternative zu einer Standardallokation ein. „Der EU-Rechtsrahmen für CTB-Indizes schreibt ausdrücklich vor, dass Sektoren mit hohen Klimaauswirkungen im Index verbleiben und ein Gewicht haben müssen, das mindestens dem Gewicht im Stammindex entspricht“, erläutert Wiedemann. Diese Vorgabe stelle sicher, dass die Sektoren mit hohen Emissionen auch in den CTB-Indizes vertreten sind und bei der Umstellung auf niedrigere Emissionen unterstützt werden. Anleger sind demnach auch gut beraten, bei der Fondsauswahl darauf zu achten, welches Ziel sie mit ihrem ETF-Investment jenseits der Dekarbonisierung verfolgen.
Was sind Scope 1 / 2 / 3-Emissionen?
Scope 1: direkte Emissionen aus eigenen oder kontrollierten Quellen. Beispiel: Emissionen aus der Verbrennung in eigenen oder kontrollierten Kesseln, Öfen, Fahrzeugen.
Scope 2: indirekte Emissionen aus der Erzeugung von zugekaufter Elektrizität, Wärme, Kälte oder Druckluft, die physisch in der Anlage auftreten, in der die Energie erzeugt wird.
Scope 3: alle indirekten Emissionen, die nicht in Scope 2 enthalten sind, aber in der Wertschöpfungskette auftreten, einschließlich der vor- und nachgelagerten Emissionen. Sie entstehen bspw. bei der Gewinnung und Produktion von eingekauften Materialien, Transport der eingekauften Brennstoffe und der Verwendung der verkauften Produkte und Dienstleistungen.