Inflationssorgen, Zinswende und Rezessionsängste überdecken es bisweilen. Aber nicht zuletzt infolge des Klimawandels, dessen Folgen weltweit zusehends stärker zutage treten, richten immer mehr Anleger ihre Investments mehr oder weniger auch an Nachhaltigkeitskriterien aus. Gleichzeitig wächst der Druck auf Unternehmen, ihre Geschäftsmodelle und Aktivitäten so zu gestalten, dass sie Umwelt-, Sozial- und Governance-Anforderungen, also ESG-Kriterien, gerecht werden. Das gilt erst recht für Investmentgesellschaften sowohl im Hinblick auf die angebotenen Kapitalanlagen als auch ihre internen Investmentprozesse. „Wenn immer mehr Anbieter – egal, ob aus Deutschland oder aus Übersee – beschuldigt werden, sie würden Greenwashing betreiben, zeigt dies, wie dringlich und relevant ein Blick auf die ESG-Integration eines Asset Managers ist“, betont Said Yakhloufi, Group Managing Director bei Scope und Autor der jüngst veröffentlichten „ESG-Integrationsstudie 2022“.
Das Analysehaus hat von 30 großen internationalen Fondsgesellschaften und zwölf großen deutschen Fondsanbietern den ESG-Integrationsgrad beim Investmentprozess und beim Engagement, also der direkten Einflussnahme bei Unternehmen, untersucht. Zusammen verwalten die Gesellschaften eine Gesamtsumme in Höhe von 44 Billionen Euro. Maßgebliche Grundlage für die Analyse waren die Berichte der Initiative PRI (Principles for Responsible Investment) der Vereinten Nationen. Punktuell hinzugezogen wurden seitens der Fondsanbieter öffentlich bereitgestellte Informationen. Auf dieser Basis betrachteten die Analysten 58 Themenkomplexe. Abhängig vom Umfang der ESG-Bemühungen wurden Punkte vergeben, die umso höher ausfielen, je mehr Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigt wurden. Dabei ging es um zwei zentrale Fragestellungen:
1. Wie werden die Titel für die angebotenen Fonds ausgewählt und wer ist verantwortlich?
2. Wie wird auf die Unternehmen eingewirkt, deren Anteilseigner der Fonds ist?
Als Vorreiter ermittelten die Analysten Federated Hermes. Als einziger Anbieter erreichte sie ein dreistelliges Ergebnis und kommt damit der Maximalpunktzahl von 116 recht nahe. „Die US-Gesellschaft zeigt nicht nur im Bereich ‚Investmentprozess‘ eine sehr hohe ESG-Integration, sondern kann auch im Segment ‚Engagement‘ glänzen“, urteilt Scope. Dahinter folgt Candriam. Der Pionier für nachhaltige Geldanlage schneidet im Bereich Investmentprozess sogar noch ein wenig besser ab als der Spitzenreiter, im Bereich Engagement dagegen etwas schlechter, heißt es weiter. Das Spitzentrio komplettiert die Gesellschaft Neuberger Berman. Dahinter folgen die übrigen Gesellschaften mit hoher ESG-Integration in engen Abständen, wie ein Blick auf die Punktevergabe zeigt (siehe Tabelle).
Bei der ESG-Integration in den Investmentprozess hat Scope vor allem folgende Kriterien bewertet:
1. die Einbindung des Managements bei der Umsetzung und Überwachung der ESG-Investmentphilosophie,
2. die gleich- und standardmäßige Berücksichtigung aller drei ESG-Kriterien in den Analysen, Bewertungsmodellen, der strategischen Allokation und Portfoliokonstruktion,
3. die systematische Ermittlung, wie die ESG-Aktivitäten Rendite und Risiko der Portfolios beeinflussen.
Um einen Einblick zu erhalten, wie sich das im Investment-alltag darstellt, fragte FONDS exklusiv bei drei der Top-Ten-Anbieter nach, wie z. B. Candriam, die sich nach eigenen Angaben seit 1996 im Bereich nachhaltiges Investment engagieren. „Bei Aktieninvestments hilft uns die Integration von ESG-Informationen und -Analysen, die Risiken und Chancen zu verstehen, die sich aus den Aktivitäten der Unternehmen ergeben“, sagt Wim Van Hyfte, Global Head of Responsible Investments and Research bei der Investmentgesellschaft.
Bei Aktieninvestments folgt auf die Definition eines Anlageuniversums ein dreistufiger Anlageprozess, bei dem ESG-Grundsätze bei der Fundamentalanalyse, der Unternehmensbewertung und dem Portfolioaufbau einfließen. Was das konkret am Beispiel der Fundamentalanalyse, die auf den fünf Säulen Managementqualität, Geschäftswachstum, Wettbewerbsvorteil, Wertschöpfung und finanzielle Hebelwirkung basiert, bedeutet, beschreibt Van Hyfte so: „Zur Säule Qualität des Managements gehört unter anderem eine ausführliche ESG-relevante Stakeholder-Analyse, während bei der Säule Geschäftswachstum eine genaue Analyse der Geschäftstätigkeiten nach ESG-Standards einfließt. Hierfür hat Candriam langfristige Nachhaltigkeitstrends identifiziert, die das Umfeld, in dem die Unternehmen tätig sind sowie ihre zukünftigen Herausforderungen und langfristigen Wachstums- und Gewinnaussichten beeinflussen könnten.“ Zudem spielen ESG-Faktoren bei der Säule Wettbewerbsvorteil eine Rolle, da sie auch in der Regulierung, vor allem im Hinblick auf die Umwelt, an Bedeutung gewinnen.
„Wir glauben, dass es entscheidend ist, ESG-Faktoren in das Fundamentalresearch zu integrieren“, bestätigt Michelle Dunstan, Chief Responsibility Officer bei AllianceBernstein (AB). So könne die ESG-Integration durch die Dokumentation und den Austausch von Research-Erkenntnissen zwischen den Anlageteams im Unternehmen voll ausgeschöpft werden. „Um diese Bemühungen voranzutreiben, haben wir Tools und Plattformen – ESIGHT, PRISM und unser Alternative Data Dashboard – entwickelt, die eine bessere ESG-Dokumentation, Integration und Zusammenarbeit innerhalb und zwischen den Anlageplattformen fördern“, ergänzt Dunstan. Der Prozess beginne damit, dass AB ihren Investoren Schulungen, Instrumente und Prozesse an die Hand gibt, die es ihnen ermöglichen sollen, ESG- und Klimathemen zu verstehen, zu recherchieren und zu integrieren sowie systemische Risiken zu erkennen und darauf zu reagieren. Ebenso sollten aufseiten der Anlageteams wesentliche ESG- und Klimarisiken und -chancen identifiziert und bewertet werden. „Die Wesentlichkeit ist je nach Sektor und Branche unterschiedlich“, betont der Chief Responsibility Officer und gibt ein Beispiel: „So könnte die Art und Weise, wie ein Unternehmen oder Emittent seinen Wasserverbrauch steuert und Abwasser behandelt, für Lebensmittel- und Getränkeunternehmen ESG- und Finanzfragen aufwerfen. Für Finanzunternehmen haben jedoch Daten und Datenschutzbelange Vorrang.“ (siehe Interview)
Natürlich müssen ESG-Informationen für alle relevanten Instrumente und Emittenten vorhanden sein, sagt Henrik Pontzen, Leiter ESG im Portfoliomanagement von Union Investment. Deshalb hat der Fondsanbieter bereits vor rund zehn Jahren die ESG-Plattform SIRIS etabliert. „Es reicht aber nicht, allen Portfoliomanagern Zugang zur Plattform zu gewähren. Denn so erreicht man nur die Fans, aber nicht die Skeptiker“, sagt Pontzen und fügt hinzu: „Deshalb wurden in umfänglichen IT-Projekten alle wesentlichen ESG-Informationen in sämtliche Portfoliomanagement-Systeme übertragen, so dass ihnen niemand mehr ,entkommen‘ kann.“ Außerdem veranstaltet der Fondsanbieter seit Jahren regelmäßige Schulungen für alle Portfoliomanager und hat das Thema Nachhaltigkeit in deren Vergütung integriert. Vorletztes Jahr etablierte man sogenannte Sektortrios: Fachleute aus den Aktien-, Renten- und ESG-Teams kommen dann zusammen und erstellen gemeinsam mehr als 250 Transformationsratings pro Jahr. Pontzen betont: „Wir investieren mit unseren nachhaltigen Fonds in Unternehmen, die zur oberen Hälfte ihres Sektors gehören, auf der Grundlage eigener ESG-Scores auf Basis externer Daten.“ Unternehmen aus der unteren Hälfte sind dann nur investierbar, wenn sie als Transformationskandidaten das entsprechende Rating bestehen, also die ambitionierten Ziele verlässlich verfolgen. Für die hierfür erforderliche Analyse kommt es nach Angaben des Leiter ESG auf drei Bewertungskriterien an: ein nachvollziehbarer Plan, nachhaltig zu werden, die erforderlichen Ressourcen, den Plan umsetzen zu können und das Setzen richtiger Anreize, z. B. im Rahmen der Vergütungsstruktur. Ergänzend hierzu sei ein „intensives, kontinuierliches Engagement“ erforderlich.
wirkungsvolles engagement
Ein vorbildliches Engagement ist der zweite Untersuchungsgegenstand der Scope-Integrationsstudie, das die Analysten an folgenden Bedingungen festmachen:
1. Es besteht ein systematischer Prozess, um Engagements zu identifizieren und zu priorisieren, der auch die Zeit vor und nach der Investition betrachtet. Asset Manager handeln proaktiv, also bereits wenn ESG-Risiken aufkeimen.
2. Die Portfoliomanager sind bei der Definition eines ESG-bezogenen Engagement-Programms unmittelbar involviert und beteiligen sich an den Dialogen mit den gehaltenen Unternehmen.
3. Sämtliche Engagements werden getrackt und systematisch kontrolliert und bewertet. Bei erfolglosem Engagement sind als Eskalationsstufen sowohl eine Reduzierung der Position als auch ein vollständiger Verkauf vorgesehen und erlaubt.
„Ein Engagement kann überall im
Investitionsprozess stattfinden: während der Recherche und Analyse, vor der Eröffnung einer Position, während des Haltens einer Position und nach der Veräußerung“, bestätigt Dunstan. Die AB-Analysten sprechen in der Regel mit Führungskräften von öffentlichen und privaten Unternehmen sowie von Nicht-Kapitalgesellschaften, einschließlich Kommunen, supranationalen und staatlichen Emittenten. Das Engagement könne von Angesicht zu Angesicht, über Telefonkonferenzen oder Videoanrufe oder durch schriftliche Kommunikation erfolgen. „Oft sind diese Gespräche fortlaufend, da wir immer wieder auf frühere Themen zurückkommen und Fortschritte diskutieren“, erläutert der Chief Responsibility Officer und berichtet von einem Beispiel in Chile, das die Wirkung dieses Nachhaltigkeitsansatzes verdeutlicht.
Erneuerbare energien in chile
Die Stromerzeugung in dem südamerikanischen Staat ist demnach in hohem Maße von Kohle abhängig, einer klimaschädlichen und sehr kapitalintensiven Branche. Die Folge: Die Unternehmen zögern, in Betrieb befindliche Kohlekraftwerke stillzulegen. Außerdem könnten viele preissensible Verbraucher keine höheren Stromrechnungen schultern, um den Übergang von Kohle zu erneuerbaren Energien zu subventionieren. „Wir haben uns mit den vier größten chilenischen Stromerzeugern (AES Andes, Colbún, Engie Energia Chile und Enel Chile) und einer neu gegründeten Gesellschaft zur Finanzierung des Stromsystems (CHIPEC) zusammengetan, um die Unternehmensleitung zu ermutigen, Kohlekraftwerke auslaufen zu lassen und innovative Wege zur Finanzierung des Übergangs zu erneuerbaren Energien zu finden“, berichtet Dunstan. Dabei konnte AB nachweisen, dass die Kapitalkosten für Unternehmen, die sich auf umweltfreundlichere Energiequellen konzentrieren, wesentlich niedriger sind.
Ein erster Erfolg stellte sich laut AB in der ersten Jahreshälfte 2021 ein: Engie Energia Chile kündigte an, dass es alle seine Kohlekraftwerke bis 2025 schließen werde. AES Andes tat selbiges für mehr als die Hälfte seiner Kohlekraftwerke. Zusammen mit der chilenischen Regierung und Bankern wurde hierfür das Unternehmen CHIPEC entwickelt, das durch eine Kreditaufnahme die Stromrechnungen von Privatkunden kurzfristig finanziert, um ihnen zu helfen, die Zeit bis zum Übergang zu überbrücken, also bis die Preise gesunken sind. Dunstan: „Wir freuen uns zwar über diesen Fortschritt, werden uns aber weiterhin für die vollständige Schließung aller verbleibenden Kohlekraftwerke in Chile einsetzen und nach kreativen Wegen zur Finanzierung der Energiewende suchen, wobei wir darauf achten, die sozialen Kosten zu minimieren.“
Insgesamt stellen die Scope-Analysten fest, dass zwar keinem der Anbieter eine makellose ESG-Integration gelingt, einige große Gesellschaften sich jedoch auf einem guten Weg befinden. Yakhloufi: „Die Gesellschaften beweisen, dass sie mit den wachsenden Anforderungen an nachhaltiges Investieren Schritt halten können. Sie haben ihre ESG-Integration weit vorangetrieben.“ Klar werde aber auch, so der Autor weiter: „Unter den großen Anbietern, die an dieser Stelle analysiert wurden, gibt es Vorreiter und Nachzügler und das Thema Nachhaltigkeit ist nicht überall gleich gut angekommen.“ Anleger, die Fondshäuser mit einer hohen ESG-Integration suchen, erhalten aber mithilfe der Auswertung valide Hinweise, bei welchen Adressen sie fündig werden könnten.