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Überschätzter Versicherungsschutz bleibt allzu häufig ungenutzt

Printausgabe | Juli 2024
Eine Rechtsschutzversicherung ist ein hilfreicher Begleiter im Alltag, vorausgesetzt der Schutz wurde an den persönlichen Interessen ausgerichtet. Doch schon das Basis-Produkt ist komplex und es gibt viele „Spielarten“. Experten raten, sich zunächst über den Leistungsumfang klar zu werden. Denn der Deckungsschutz wird nicht nur überschätzt, sondern bleibt auch oft ungenutzt.
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Die Rechtsschutzversicherung gilt als Basis-Absicherung, neben der Haftpflicht-, Unfall-, Eigenheim- oder Haushalts- und der Kfz-Versicherung. Allerdings: Die Rechtsschutzversicherung wird einerseits hinsichtlich des Deckungsumfangs massiv überschätzt, andererseits bleibt sie massiv ungenutzt. „Viele Menschen glauben, sie sei eine Art ,All-Risk-Versicherung‘“, sagt Ludwig Strobl. Er ist Regionalmanager bei der ROLAND Rechtsschutz-Versicherungs-AG, einem rein auf diese Sparte fokussierten Versicherungsunternehmen. „Die interessante Frage bei diesem Produkt ist nicht, was man versichern kann, sondern was sich nicht versichern lässt“, meint Hattenberger plakativ. Definitiv nicht übernommen werden die Prozesskosten bei Scheidungen, Immobilienkauf, -verkauf und -errichtung, Enteignungen und Naturkatastrophen, Geldanlagen oder Glücksspiel.

KOMPLEXES BASISPRODUKT

Fest steht: Das Produkt ist so komplex, wie es das Leben ist. Es gibt also nicht die „eine“ perfekte Rechtsschutzversicherung, die zu allen passt. Was es gibt, sind verschiedene Deckungen, mit denen  man für unterschiedliche Bereiche des Lebens vorsorgen kann – und zwar für die Kosten für Rechtsberatung und -vertretung sowie für die Kostenübernahme für Rechtsstreitigkeiten bis zur in der Polizze vereinbarten Summe. Eine Rechtsschutzversicherung unterstützt also finanziell bei den Kosten für rechtliche Auseinandersetzungen. Ohne sie können Rechtsstreitigkeiten rasch zum finanziellen Fass ohne Boden werden – auch wenn man selbst gar nichts falsch gemacht hat. Denn das Risiko, einen Prozess zu verlieren, besteht theoretisch immer. Bis er abgeschlossen ist, können Anwalts-, Gerichts- und Sachverständigenkosten rasch existenzbedrohend werden. In Österreich gibt es drei Spezialisten – neben der ROLAND noch die ARAG SE und die seit rund einem Jahr in der ERGO Versicherung aufgegangene D.A.S. Rechtsschutz. Freilich hat auch nahezu jeder Kompositversicherer eine Rechtsschutzversicherung im Programm.

Die Basisdeckung jeder Rechtsschutzpolizze sind Beratungs-Rechtsschutz, Schadenersatz-Rechtsschutz und Straf-Rechtsschutz. Erstere steht zur Seite, wenn die Kosten für rechtlichen Rat eines Anwalts gedeckt sein sollen. Der Bestandteil Schadenersatz-Rechtsschutz hilft, die eigenen Schadenersatzansprüche geltend zu machen. Klassisches Beispiel: Man ist schuldlos in einen Unfall verwickelt. Die Versicherung unterstützt bei der Geltendmachung von Schmerzensgeld oder anderen Schadenersatzforderungen gegen die verantwortliche Partei. Hattenberger: „Es handelt sich um aktiven Rechtsschutz, dass ich als Betroffener zu meinem Recht komme und mir Schadenersatz geleistet wird, im Gegensatz zur passiven Variante, der privaten Haftpflichtversicherung, die vor Schadenersatzansprüchen Dritter schützt. Die Polizze kommt also für die finanziellen Folgen von Schäden auf, die ich anderen Personen, deren Besitz oder Vermögen zufüge.“ Der Straf-Rechtsschutz schließlich greift, wenn ein Strafverfahren gegen die versicherte Person eingeleitet wird. Um beim Unfall-Beispiel zu bleiben: Wer in Verdacht steht, fahrlässige Körperverletzung begangen zu haben und mit einer strafrechtlichen Untersuchung konfrontiert ist, der erhält die Kosten für Rechtsbeistand und andere damit verbundene Ausgaben im Rahmen des Strafverfahrens ersetzt.

„Der klassische Privatrechtsschutz ist natürlich am häufigsten nachgefragt“, sagt Strobl. „Die Erwartungshaltung angesichts der vielen tausenden gesetzlichen Normen und Regelungen in Österreich ist aber komplett überzogen“, betont Helmut Tenschert, freier Berater und Konsulent für Versicherungen und Versicherungsmakler, vor allem angesichts der zumeist moderaten Jahresprämien von um die 250 Euro pro Familie. Tenschert sieht die Ursache analog zur mangelnden Finanz-Bildung in Österreich in einer ebenso fehlenden juristischen Grundausbildung an den heimischen Schulen. „Auf der anderen Seite denken die Versicherten zu selten daran, ihren Vertrag zu beanspruchen“, macht Hattenberger aufmerksam. „Das können Kleinigkeiten sein, wie etwa, dass man ein Taxi gerufen hat, das nicht gekommen ist und man daher unerwartete Auslagen hatte oder wichtige Termine versäumt hat.“

Einzelne Bestandteile einer maßgeschneiderten Rechtsschutzversicherung können etwa sein: Allgemeiner Vertrags-Rechtsschutz, wo es um rechtliche Auseinandersetzungen geht, die sich aus Verträgen ergeben, wobei auch Käufe Verträge darstellen. Wer also einen PC gekauft hat, der sich als defekt herausstellt, was vom Händler bestritten wird, dem hilft dieser Baustein. Ein Gutachten-Rechtsschutz übernimmt unter bestimmten Bedingungen die Kosten für außergerichtliche Gutachten. Ein Daten-Rechtsschutz unterstützt bei Streitigkeiten über den Umgang mit den persönlichen Daten. Ein Steuer-Rechtsschutz bietet Hilfe bei rechtlichen Problemen im Bereich des Steuer-, Zoll- und Abgabenrechts.

TEILBEREICHE IM ÜBERBLICK

Im Bereich Kfz gibt es einige Teilbereiche wie den Lenker-Rechtsschutz oder eine spezielle Kfz-Rechtsschutzversicherung. Ersterer greift, wenn man als Fahrerin oder Fahrer eines fremden Fahrzeugs in einen Unfall verwickelt ist. Die Kfz-Rechtsschutzversicherung deckt unter anderem rechtliche Probleme ab, die sich infolge einer schlecht durchgeführten Autoreparatur ergeben. „Arbeitsrecht und Sozialversicherung sind weitere wichtige Teilgebiete“, führt Strobl aus. Diese Bausteine helfen bei rechtlichen Streitigkeiten am Arbeitsplatz und in sozialversicherungsrechtlichen Angelegenheiten, etwa bei ungerechtfertigter Kündigung seitens des Arbeitgebers oder bei der Durchsetzung von Pflegegeldansprüchen. Spezielle Interessenlagen lassen sich dann noch durch den Miet- oder Vermieter-Rechtsschutz abdecken sowie den Erb- und Familienrechtsschutz, wo man Unterstützung erhält bei Streitigkeiten im Zusammenhang mit Erbschafts- oder familiären Angelegenheiten.

Wonach sollte man sich aber angesichts der Komplexität der Themen orientieren, um das beste Angebot zu finden? „Oft schauen die Kunden nur auf die Prämie oder den Deckungsumfang“, warnt Strobl. „Nach oben hin ist die Prämienhöhe offen“, führt Hattenberger aus, je nachdem, was gewünscht und sinnvoll ist. Alter, Familienstand und Beruf können die Prämienhöhe beeinflussen. Damit weder Vermittler oder Agentin noch versicherte Person in Fallen tappen, ist es wichtig, genau zu überlegen, welche Art von Schutz benötigt wird. Und vor allem die Höhe der Deckung ist gut abzuwägen.

Eine höhere Summe bedeutet freilich meist höhere Prämien, dies kann sich aber bei kostspieligen Rechtsstreitigkeiten bezahlt machen. Und wie hoch sollte der Selbstbehalt sein? Bei manchen Assekuranzen hat man hier die Wahl. Die freie Wahl des Rechtsanwalts ist bei den meisten Assekuranzen heute schon Standard – laut Experten ein Feature, das den österreichischen Versicherungsnehmern besonders wichtig sei. Eine Rolle könnte auch der Gerichtsstand spielen, macht Strobl aufmerksam und es sollte darauf geachtet werden, ob die Deckung beispielsweise ganz Europa umfasst. In der Beliebtheit gestiegen, vor allem während der Corona-Pandemie, seien Sofort-Schutz-Angebote, so Strobl weiter. Darunter ist etwa die telefonische Rechtsberatung sowie der Beratungsrechtsschutz, zu verstehen.

Die Wartezeiten dürfen ebenfalls nicht übersehen werden. Sie besagen, wie lange man nach Abschluss der Polizze warten muss, bis der Schutz greift. In der Regel sind dies drei bis sechs Monate. In dieser Zeit übernimmt die Versicherung noch keine Kosten für rechtliche Auseinandersetzungen. In bestimmten Bereichen, wie etwa dem Arbeitsrecht, können die Fristen sehr lange ausfallen. „Dies ist logisch“, erklärt Tenschert. Die Versicherungen wollen sich ihrerseits absichern, nicht für Schäden aufkommen zu müssen, die bereits bei Vertragsabschluss evident und virulent sind.

Natürlich gibt es auch Rechtsschutzversicherungen für Betriebe und besondere Pakete für Manager. „Das Risiko, in einen Rechtsstreit verwickelt zu werden, ist in den letzten Jahren enorm gestiegen“, sagt Strobl. Denn als gesetzlicher Vertreter trage der Manager die volle Verantwortung und das Haftungsrisiko für alles, was im Unternehmen geschehe. „Die Unterscheidung zwischen Privat- und betrieblichem Schutz kann auch schon bei Einpersonenunternehmen eine Rolle spielen“, macht Hattenberger aufmerksam. Streng genommen könne eine Fahrt mit dem auch betrieblich genutzten Pkw problematisch werden.

Das rechtliche Regelwerk wird jedenfalls immer komplexer und umfassender, weshalb mit weiteren Neuerungen und eventuell auch steigenden Prämien zu rechnen sei: „Der Konsumentenschutz wurde in den letzten Jahren ausgedehnt, etwa die Gewährleistungsfrist bei beweglichen Gütern. Ein großes bevorstehendes Thema im Hinblick auf künftige Schadensbelastungen ist das europäische Lieferkettengesetz“, erläutert Tenschert. Im Moment sei der Konkurrenzkampf noch groß. Statt höherer Prämien käme es daher – oft von den Kunden unbemerkt – zur Reduzierung der Leistungspalette. Umso wichtiger ist eine umfassende Beratung durch unabhängige Experten, sagt Strobl und fügt hinzu, dass das angesichts vieler Neuerungen auch im Social-Media-Bereich ebenso die regelmäßige Überprüfung bestehender Polizzen beinhaltet.