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„Unternehmen müssen nachhaltig und rentabel sein“

Juli 2024
Es kann zu Verzögerungen kommen, aber eine Alternative zum Green Deal hat die EU nicht, sagen Thomas Motsch und Michael Huber, die beide den Fonds Raiffeisen-Nachhaltigkeit-Aktien managen. Die Investmentprofis erklären die laufende Konsolidierung, beschreiben die Besonderheiten ihres Nachhaltigkeitsprozesses und wie sie dabei mit dem Trendthema Künstliche Intelligenz umgehen.
Roland Rudolph
Thomas Motsch und Michael Huber, Raiffeisen KAG

FONDS exklusiv: Industriepolitische Vorgaben zur Erreichung der Klimaziele werden auch im Nachgang der Europawahlen weiter hinterfragt. Das Verbrenner-Aus bei Fahrzeugen scheint zu wackeln. Steht der Green Deal der EU in seiner jetzigen Form zur Disposition?
THOMAS MOTSCH: Nein, das denken wir nicht. Es kann zu Verzögerungen bei der Umsetzung des Green Deals kommen. Aber wenn die EU hier nicht komplett den Anschluss verlieren will, muss sie an dem Thema dranbleiben.

MICHAEL HUBER: Das ist nicht nur mit Blick auf die Klimaziele notwendig, sondern um Europa aus der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu führen. Dafür müsste im Bereich erneuerbare Energien der Aufbau einer eigenen Produktion samt Wertschöpfungskette massiv gefördert werden. Tatsächlich wiederholt die Politik aber gerade den Fehler aus den Jahren 2007 bis 2009, als die gesamte deutsche Solarindustrie durch subventionierte Produkte aus China pleitegegangen ist.

Wie nimmt die Wirtschaft aus Ihrer Sicht die klimapolitischen Vorgaben an?
M. H.: Gespräche mit vielen Unternehmern verstärken unseren Eindruck, dass die Unternehmer vor allem Klarheit und Verlässlichkeit benötigen. Planungssicherheit ist oberstes Gebot, damit die klar vorgegebenen und kommunizierten Ziele erreicht werden können. Demgegenüber ist bei Investoren ein sinkendes Interesse an ESG-Themen festzustellen, weshalb viele opportunistisch agieren. Das versuchen wir zu vermeiden.

Laut Morningstar verzeichneten Artikel 8- und 9-Fonds im vierten Quartal 2023 Rekordabflüsse, während konventionelle Fonds erhebliche Mittelzuflüsse generierten. Sollten sich Anleger von nachhaltigen Investments in Zeiten von Kriegen, geopolitischen Krisen und Inflation erstmal auf ertragsschwächere Jahre einstellen?
T. M.: Losgelöst von den Morningstar-Daten lässt sich die Lage an den Märkten so beschreiben, dass wir nach mehreren Jahren anhaltender Kurszuwächse bei nachhaltigen Investments nun eine Konsolidierungsphase durchlaufen. Das hat einerseits mit den angesprochenen Themen zu tun, andererseits mit dem Ausstieg von Marktteilnehmern, die nur temporär auf den Nachhaltigkeitstrend aufgesprungen sind, um davon zu profitieren. Wir hatten keine nennenswerten Mittelabflüsse bei unseren Nachhaltigkeitsfonds zu beklagen.

M. H.: Ein weiterer Grund liegt darin, dass die Bewertungen vieler Unternehmen durch die massiven Mittelzuflüsse bis Ende 2021 deutlich gestiegen sind, die Unternehmensgewinne mit diesen Entwicklungen aber vielfach nicht mithalten konnten. Bei Wachstumsunternehmen sorgen zwar die höheren Zinsen für eine schlechtere Finanzierungsbasis, was 2022 auf die Kurse auch nachhaltiger Technologietitel drückte. Allerdings zeigte sich dann, dass viele der Unternehmen über zukunftsfähige Geschäftsmodelle und gesunde Cash Flows verfügen. Für uns war das auch ein Hinweis darauf, den Fokus noch stärker auf die fundamentale Analyse zu lenken, um die Spreu vom Weizen zu trennen.

Wie ordnen Sie hier den von Ihnen angesprochenen Solarbereich ein?
M. H.: Ja, die Solarbranche spielt zwar eine zentrale Rolle bei erneuerbaren Energien. Gleichwohl ist ein Unternehmen für uns aber nur investierbar, wenn es unsere Nachhaltigkeitskriterien erfüllt, rentabel arbeitet und sich langfristig am Markt behaupten kann. Da muss man gerade in Branchen, in denen China sehr aktiv ist, wie es hier der Fall ist, gut aufpassen.

T. M.: Die Rentabilität hängt sehr stark am Zinsniveau. So hat das seit zwei Jahren vergleichsweise hohe Zinsniveau dazu geführt, dass Projekte, die in den Jahren 2020 und 2021 noch rentabel waren, es heute nicht mehr sind. Das gilt nicht nur für viele Solar-, sondern auch Windkraftprojekte.

Auf Ihrer Homepage schreiben Sie zu Ihrem Fonds Raiffeisen-Nachhaltigkeit-Aktien, dass mindestens 51 Prozent der Investments nach sozialen und ökologischen Zielen veranlagt werden. Das ist nicht wirklich viel, oder?
T. M.: Dieser Wert ist rechtlichen Vorgaben geschuldet und soll mit 51 Prozent ausdrücken, dass der Raiffeisen-Nachhaltigkeit-Aktien überwiegend nach sozialen und ökologischen Zielen veranlagt. Tatsächlich investiert der Fonds zu 100 Prozent nachhaltig innerhalb eines stringenten Nachhaltigkeitsprozesses, den wir vor vielen Jahren aufgebaut haben und der mit dem FNG-Siegel zertifiziert ist.

Bitte erklären Sie Ihren Nachhaltigkeitsprozess in seinen Grundzügen.
T. M.: Gern, wir bezeichnen diesen Prozess als grünen Pfad, bei dem an vier Stellen verschiedene Überprüfungen stattfinden. Bei der ersten geht es um die Frage, ob Unternehmen ein Exposure zu Zukunftsthemen haben. Das sind Themen wie zum Beispiel Energie und Infrastruktur, zu denen wir Arbeitsgruppen gebildet haben, um hier tiefergehendes Know-how aufzubauen. Der nächste Prüfpunkt ist der ESG-Unternehmenswert. Hier geht es darum, mithilfe von Nachhaltigkeitsdaten externer Anbieter die Aktivitäten auf Unternehmensebene in den drei Bereichen Umwelt, Soziales und Governance einzuschätzen, bspw. auch im Hinblick auf Kontroversen. Drittens geht es um das Engagement. Wir schauen uns an, wie sich die Kommunikation mit dem Unternehmen darstellt. Es geht also beispielsweise darum, wie mit unseren Anfragen und Vorschlägen umgegangen wird. Diese drei Bewertungen werden zum ESG-Indikator zusammengefasst, der eine Gesamtbewertung über die Nachhaltigkeit eines Unternehmens ermöglicht. Es ist ein sehr kompletter Nachhaltigkeitsprozess, der unsere Expertise von rund 60 Analysten bzw. Fondsmanagern und das Research von Drittanbietern sinnvoll zusammenführt.

Woher kommen die Ideen für das Anlageuniversum, aus dem sich dann das Fondsportfolio zusammensetzt?
M. H.: Eine wichtige Quelle sind unsere Arbeitsgruppen, in denen wir uns dezidiert mit Zukunftsthemen auseinandersetzen. Dazu zählt z. B. auch die Kreislaufwirtschaft und damit Unternehmen, die ihr Produkt ganzheitlich über den gesamten Lebenszyklus denken. Generell suchen wir Unternehmen, deren Produkte einen Mehrwert für die Gesellschaft darstellen.

Beim Blick auf Ihre zehn größten Fondspositionen fällt auf, dass vier Titel zu den sogenannten „Glorreichen Sieben“ gehören, also Technologietitel, die stark von KI-Trends profitieren. Spielen gesellschaftliche KI-Risiken und der teils exorbitante Strombedarf von KI-Anbietern dabei eine Rolle?
T. M.: Ja, es wird ein enormes Wachstum von Datencentern prognostiziert. Gleichzeitig werden die Chips immer effizienter, weil jede neue Chips-Generation eine erhöhte Rechenleistung bei sinkendem Energieverbrauch ermöglicht. Dieser Strombedarf sollte dann durch erneuerbare Energien gedeckt werden können. KI ist aus meiner Sicht ein Plattform-Thema, um das sich ein eigenes Ökosystem entwickelt, ähnlich wie es früher beim Internet und Mobilfunk der Fall war. Doch nicht alle Unternehmen werden den in sie gesteckten Erwartungen gerecht, sodass hier mit viel Augenmaß vorgegangen werden muss.

M. H.: Im Bereich KI ist derzeit sehr viel in Bewegung. Für uns als Fondsanbieter kommt es einerseits darauf an, die vielfältigen Chancen im Sinn der Anleger zu nutzen. Andererseits gilt es, die negativen Entwicklungen rechtzeitig zu erkennen, um sich daraus ergebende Risiken zu minimieren.