Jan Viebig, Chief Investment Officer der ODDO BHF, kommentiert in seinem aktuellen CIO-View, wie sich die Leitzinserhöhungen auf den Immobilienmarkt auswirken. Viebig meint, Leitzinserhöhungen wirken nicht sofort, sondern zeigen sich in der Wirtschaft in der Regel mit einer Zeitverzögerung von mehreren Monaten. Das ist jetzt der Fall am amerikanischen Immobilienmarkt.
Alles wäre in schöner Ordnung, wenn da nicht der US-Immobilienmarkt wäre, von dem beunruhigende Signale ausgehen. Die Leerstandsquote am amerikanischen Markt für Gewerbeimmobilien (Büroflächen) lag im dritten Quartal 2023 mittlerweile bei über 19 Prozent. Damit ist sie höher als im Nachgang an die Finanzkrise von 2008. Damals betrug sie rund 18 Prozent.
Hinzu kommt die ungünstige Zinsentwicklung: Ende 2021 lag der Satz für ein dreißigjähriges Hypothekendarlehen in den USA bei rund 2,7 Prozent. In der Spitze erreichte dieser Zins Ende Oktober 2023 knapp 7,8 Prozent. Aktuell kostet ein solches Darlehen etwa 6,6 Prozent. Durch das höhere Zinsniveau werden viele Bauprojekte unrentabel und deshalb nicht weiterverfolgt. Dadurch gehen die Investitionen in neue Projekte stark zurück. So saßen US-Fonds, die in globale Immobilien anlegen, im zweiten Quartal 2023 auf einem Liquiditätsbestand von 544 Milliarden Dollar, den sie bisher nicht investierten, berichtete das Wall Street Journal in seiner Ausgabe vom 12. Februar 2024.
Auf dem Büromarkt zeigt sich zudem, dass der Flächenbedarf durch veränderte Arbeitsbedingungen wie z.B. Homeoffice strukturell und damit langfristig geringer wird. Auf dem Markt für Gewerbeimmobilien sind vor allem Finanzinvestoren aktiv: Immobilienfonds, Beteiligungsgesellschaften oder Anlagevehikel wie REITs (Real Estate Investment Trusts), die für ihre Anleger allesamt eine attraktive Rendite erreichen wollen. Diese Finanzinvestoren leiden nun besonders unter den höheren Zinsen, dem Leerstand und möglicherweise der Notwendigkeit, in naher Zukunft bestehende Finanzierungen aus der Niedrigzinszeit durch neue, teurere Darlehen ersetzen zu müssen.
Auf dem Markt für Gewerbeimmobilien bekommen die Finanzinvestoren zudem den steigenden Druck der Banken zu spüren, die ihrerseits ihre Konditionen anziehen, da sie einen Anstieg der Insolvenzen auf dem Immobilienmarkt befürchten. Denn Banken, die ihr Geschäft auf Immobilienfinanzierungen ausgerichtet haben, geraten nun selbst unter Druck. So hat die Ratingagentur Moody’s am 6. Februar 2024 die Bonität der Regionalbank New York Community Bancorp von der Ratingnote Baa3 auf Ba2 und damit auf Ramschniveau herabgestuft. Aber auch einige deutsche Banken haben Kreditrisiken am amerikanischen Immobilienmarkt. Die dadurch notwendigen Abschreibungen werden zwar deren Erträge belasten, aber wohl nicht in größere Schwierigkeiten bringen.
Angesichts der Schwierigkeiten am Immobilienmarkt fühlen sich manche Anleger in die Vergangenheit zurückversetzt. Doch die aktuelle Krise hat nach unserer Überzeugung wenig mit der Finanzkrise der Jahre 2007 und 2008 gemein, auch wenn diese ihren Ausgang am Häusermarkt und damit auf dem Immobilienmarkt nahm. Die Lage am amerikanischen Immobilienmarkt sollte ernst genommen und sorgsam beobachtet werden. Doch von einer Krise in der Dimension von 2008 kann bisher keine Rede sein.
Ein wesentlicher Unterschied ist, dass die aktuellen Schwierigkeiten am Immobilienmarkt schon aufgrund der steigenden Zinsen absehbar waren. Insofern trifft diese Krise die Marktteilnehmer nicht unvorbereitet. Viele institutionelle Investoren haben sich früh auf höhere Risiken bei US-Immobilien eingestellt. Auch ist ein Überschwappen der Immobilienkrise auf Europa bisher nicht zu erwarten. Es ist nicht auszuschließen, dass sie auch den einen oder anderen Marktteilnehmer in Europa treffen könnte. Doch diese Krise ist bis jetzt in erster Linie ein amerikanisches Phänomen.